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Die dunkle Zeit

Sonntag Nacht
Fast drei Jahre sind seit der Diagnose vergangen. Sue Klein liegt neben mir, atmet hörbar. Und wieder sieht sie so klein und verletzlich aus. Wie ein Baby. Sie riecht auch immer noch so. Das hat mir während der Zeit der Therapie zu schaffen gemacht, dass ihr Geruch meinen Mutterinstinkt potenziert hat.
Auch im Schlaf drückt sie ihren zerliebten Ikea-Plüschhund an sich und es trifft mich wieder eine Welle aus Liebe und Angst. Ich muss mit den Tränen kämpfen und denke wieder so Zeugs wie: Das ist mein Kind. Wehe, es passiert ihr was. Bleib bei mir…
Und gleichzeitig denke ich, wie undankbar ich bin und dass ich mich zusammen reißen muss. Durch meine Panik wabern dann Sätze wie der von der jungen Reha-Ärztin: „Wovor haben sie denn Angst? Andere haben auch ihr Päckchen zu tragen.“ Auch meine behandelnde Ärztin hier zu Hause war nicht zimperlich: „Das bisschen Leukämie.“

Ich weiß das alles. Ja wir hatten Glück. Gute Prognose, gute Überlebenschance. Trotzdem haben wir viele Monate mit dem Tod geflirtet, er wohnte mit uns auf der Station, tat so, als wäre er ein Freund und stahl sich ab und zu ein Kind. Meist grausam und langsam, erbarmungslos. Ich kann das nicht vergessen, je mehr ich alles aus der Zeit verbanne und verdränge, desto heftiger holt mich alles ein, wenn ich gerade wieder leben und lachen möchte.

Jetzt kommen die dunklen Tage und die langen Nächte. Es jähren sich Daten, die sich eingebrannt haben. Weihnachten? Schrecklich, kann gern ausfallen. Ich brauche da einen Bruch in den sich wiederholenden Abläufen. Das wiederum braucht Mut. Oma und Opa sind schließlich auch noch da. Und die Kinder brauchen was „Normales“.

Dienstag früh
Der Tanz zwischen Erschöpfung, Funktionieren und mich immer wieder motivieren beginnt also wieder an diesen dunklen Tagen. Und es ist kein Tanz mit Choreographie, sondern Freestyle-ohne Coaching. Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich nicht tanzen kann. Meine Belastbarkeit tendiert gerade heute am Tag der monatlichen Kontrolle wieder gen Null.

Sue Klein kann Mathe nicht, sagt ihre Lehrerin. Sie macht sich Sorgen. Auf der Fahrt nach Hause fallen diverse Teile meiner mühsam aufgebauten Fassade auf die Müllhalde meines Lebens. Bitte nicht schon wieder heulen.
Eine Freundin schrieb mir gestern, dass Chemo Nervenstränge im gesamten Körper zerstört. Kann mir denn niemand sagen, ob Sue Klein einfach nur langsam ist wegen der Folgen der Therapie? Die Schulgesetze haben keine Leitfäden für Postchemo-Patienten. Sue Klein passt in keine Regelung. Falls jemand mein Jammern liest, der Ahnung hat, bitte meldet Euch. Ich brauche Erfahrungen und Lösungsansätze für Lehrer und Eltern und Therapeuten.

So, ich halte nun die Luft an bis zum erlösenden Anruf morgen beim Chefarzt. „Ja Frau Schröter (ich habe grundsätzlich in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit nur einen Namen) alles in Ordnung!“

2 Kommentare

  • Limalisoy

    Nun bin ich selbst Lehrerin und habe glücklicherweise noch keine Schüler unterrichten dürfen, die an einer Krebserkrankung gelitten haben. Doch auch für Schüler, die ohne eine Erkrankung Lernschwierigkeiten haben oder für manche Unterrichtsinhalte mehr Zeit benötigen, richten wir uns ein. Denn sowas steht in den allgemeinen Richtlinien… Und wenn Sue Klein „Mathe nicht kann“ dann klingt das etwas hart. Sicherlich kann sie nicht gleichschrittig mit ihren Schulkameraden lernen und das, meine liebe Katrin, können die wenigsten. Die Aufgabe des Lehrpersonals ist nämlich die, für alle Kinder entsprechendes Material bereitzustellen, damit ein jeder in seinem Tempo lernen kann. Und ich bin mir sicher, wenn Sue Klein entsprechendes Material bekommen kann – das selbstverständlich auch motivierend ist – werden sich manche Sorgen vielleicht im Laufe der Zeit etwas legen…
    Liebe Grüße
    Yvonne

  • Kaddi

    Liebe Yvonne, danke für Deine lange Antwort. Mittlerweile haben wir uns gut weiter verständigt, was die Schulsituation betrifft. Ich gebe ja auch der Zeit hier die Chance und alle haben erkannt, dass es jetzt Förderung geben muss. Ihr fehlt das Mengenverständnis, das Zerlegen der Zahlen fällt ihr schwer, so dass alle Rechnungen über die Zehner immer wieder wie böhmische Dörfer sind. Das Lesen dagegen kann sie fantastisch, so dass wir uns um Deutsch wenig Gedanken machen müssen.
    Ich habe beschlossen, mich nicht verrückt zu machen. Was andererseits schwer ist, das Nötige stets einzuleiten und auch konsequent zu üben. Wir haben das Glück, eine tolle Direktorin und die beste Klassenlehrerin für unsere Situation zu haben. Deshalb denke ich, dass tatsächlich alles Gute zu einem kommt, wenn man geduldig ist und vertraut. Ich glaube auch an Karma.
    Aber deshalb schreibe ich auch so wenig im Blog. Ich bin derzeit so zufrieden wie lange nicht mehr.
    Liebe Grüße Kaddi

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