Tag 37 – Ostern ist schon vorbei
Schokolade ist so wichtig in diesen Tagen. An jedem Tag. Aber nun gibt es keine Entschuldigung mehr für das ungemäßigte Vernichten dieses unnötigen Lebensmittels, natürlich durch essen.
Ich hätte ehrlich gesagt, nicht gedacht, dass die Zeit so fliegt und auch nicht, dass wir irgendwann die Schallmauer eines Monats durchschlagen. Auch bei uns hinterlässt die Quarantäne mittlerweile Spuren. Wir essen mehr, wir trinken auch mehr Alkohol. Allerdings ist bei uns auch mehr trinken alles über null. Denn bei uns wird sogar Alkohol schlecht. Auch haben wir letztes Jahr sehr viel weggeschüttet und verschenkt.
Aber ja, wir genießen. Wir sind uns auch genug. Das war schon immer so.
In den sozialen Medien sickert allerdings mehr und mehr die Verzweiflung vieler durch alle Texte. Ich denke, es sind vor allem Familien mit sehr kleinen Kindern oder Alleinerziehende. Familien, die nicht wie wir, einfach zur Tür in den eigenen Garten laufen können. Familien, die in der Stadt leben mit vielen Millionen Menschen. Wir leben auf dem Dorf, das ist einfach etwas anderes. Die Havel und damit viel Natur und auch Radwanderwege sind hier nur ein paar Meter entfernt.
Und doch merke ich, wie ich mich über einige Jammereien ärgere. Einfach, weil wir damals (während der Leukämie von Sue Klein) so brav und diszipliniert in Isolation lebten. Wir wussten, wofür wir es taten, es waren nicht Wochen, nicht Monate-es war weit über ein Jahr. Und bei uns ging es nicht darum, wie ich das Kind in einer Wohnung beschäftige, in der man vor allem auch sehr privat ist. Bei uns ging es nur um das Kind im Bett. Sie war vier und wir hatten selten den Luxus eines Einzelzimmers durch Iso (was heißt Luxus, wenn man erst mal isoliert war, ging es dem Kind in der Regel auch sehr schlecht) bzw. den Luxus eines Zweibettzimmers. Das über Wochen. Ich erinnere mich sehr ungern. Ja, es triggert mich, wenn darüber geschimpft wird, wie schwer es jetzt für so manche Mama ist. Einfach, weil ich mich gut erinnern kann. Da vermischt sich sicher auch vieles: Erinnerungen, Erfahrungen, viele Bilder und Emotionen. Wir sind damals in eine eigene Welt abgetaucht. Gefühlt standen wir trotz allen Mitleidens und der vielen Hilfe allein. Auch weil wir nur so wenig Kontakt zulassen durften. Misstrauisch wurde jeder Unsbesuchenwollende nach möglichen Krankheitszeichen gescannt. Schon damals wollte ich so einigen erst mal ein Thermometer ins Ohr oder an die Stirn tackern, um Fieber auszuschließen.
Und heute ist es wieder genauso. Nach wochenlanger relativer Entspanntheit macht sich seit Bekanntgabe der Lockerungen, die den Besuch der Schulen durch Sue Heck und Sue Klein vorsehen, langsam Panik bei mir breit. Sue Klein gehört einfach zur Risikogruppe. Sie ist vorerkrankt, geschädigt und leidet noch immer an diversen Folgen der Therapie und auch des Krebses. Ich habe Angst.
Mittlerweile musste ich erkennen, dass auch einige Freunde die Empfehlungen und Anweisungen zum Verhalten in diesen Wochen nicht ernst nehmen, es locker sehen, verschiedene Schwurbelansichten teilen und unterm Strich finden, dass vor allem wir doch endlich mal aufwachen sollen und nicht jede Meldung zu Corona glauben sollen. Übertrieben ist das ganze, wenn nicht sogar lächerlich.
Im Dorf gibt es regelmäßig private Parties und die Kinder rennen im Pulk durch die Gegend. Ich kann es den Menschen nicht mal verübeln. Aber genau das macht mir Angst.
In unserem Landkreis gibt es so wenige Fälle, dass man sich diese Arroganz durchaus leisten kann. Niemand hier kennt jemanden, der an Corona erkrankt ist. Vielleicht bleibt es sogar so. Schließlich gibt es den Virus gar nicht. Ironie aus.
Ich werde dazu immer wieder meine Meinung sagen. Deutlich. Und bitte: Macht doch, was Ihr wollt, aber habt wenigstens noch soviel Anstand und Empathie, unsere Vorsicht zu respektieren, sie nicht lustig zu finden. Innerlich gehe ich wieder mal durch die Hölle, holen mich die alten Dämonen ein. Mit Atemnot und Herzrasen. Hört das nie auf? Eigentlich dachte ich, wir sind damit durch.
So bleiben mir wieder mal nur meine erlernten Antihysterie-Strategien. Malen, Fotografieren, Informationen sammeln, um Hilfe bitten, meine Ängste benennen. Ach ich vergaß: Masken nähen. Leider war noch keine brauchbare dabei. Hat eventuell jemand Erfahrungen mit der Anzahl der Fehlversuche? Bisher konnte hier von Produktion keine Rede sein. Eher so reihte sich Nähfail an Nähfail. Dennoch bin ich guter Dinge. Solange die Maschine mitmacht, versuche ich es weiter. (Hier hysterisch lachenden Smilie einsetzen)
Ostern war übrigens sehr ruhig, für mich persönlich ein Traum-Ostern. Den Kindern haben die Rituale des freitaglichen Eierfärbens und des Suchens der Geschenke bei Oma gefehlt. Wir haben versucht, trotzdem ein würdiges Ostern zu begehen. Habe vor zwei Tagen noch einen Schokohasen gefunden. Lecker. Schokolade. So wichtig in diesen Tagen.