Wie alles Undenkbare begann
Seit der Leukämie-Erkrankung meiner Jüngsten habe ich auf der onkologischen Kinderstation viele Familien in ähnlichen Situationen kennengelernt und man wächst irgendwie zusammen und findet Freunde fürs Leben. Und so unterschiedlich die Diagnosen sind, so sehr können sich alle an den Tag X erinnern:
Für uns ist die Welt genau am 18. Dezember 2012 für eine gefühlte Ewigkeit stehen geblieben. Es war ein Dienstag und bis ca 14.30 Uhr war unsere Vierjährige noch ein normales, gesundes Kind – so war eben unsere Realität. Wir konnten ja nicht ahnen, was sich in dem kleinen Körper zusammen braute. Als der Anruf von der Kinderarztpraxis kam, dass wir sofort zu einem Gespräch kommen sollen, war mir eigentlich nur noch schlecht. Sofort hatte ich eine ganz böse Ahnung. Die Blutentnahme am Morgen, die ständigen Rückenschmerzen, der Infekt mit hohem Fieber ergaben ein unheimliches, noch verschwommenes Bild.
Als wir um 15.00 Uhr in der Praxis waren, redete unser Kinderarzt auch nicht lange um den heißen Brei herum. Der Verdacht auf Leukämie stand im Raum und müsse entweder ausgeräumt werden oder eben bestätigt werden, um sofort mit einer entsprechenden Therapie beginnen zu können…
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So fühlt sich dieser Moment an. Unbeschreiblich. Ich sehe uns immer noch in der Praxis sitzen, hilflos. Das Blut rauschte in den Ohren oder vielleicht waren es auch die Lampen in dem kleinen Raum. Halb ohnmächtig fragte ich meinen Mann, ob das gerade ein Scherz war.
Der Rest des Tages flog nur so an uns vorbei. Wir sammelten die Kinder ein, ich habe eigentlich nur noch geheult. Zu Hause schmissen wir schnell ein paar Sachen zusammen, denn uns wurde die Kinderonkologie in B. ans Herz gelegt, wo uns bereits ein Zimmer reserviert wurde. Es war eine unheimlich stille, bedrückende Fahrt von ca 90 Minuten. Eine freundliche Ärztin auf der Station verhinderte sämtliche Nervenzusammenbrüche, die ich mir seit dem Nachmittag vorgenommen hatte. Sachlich, ruhig und sehr optimistisch gab es die ersten Untersuchungen durch sie. Noch hatten wir keine endgültige Diagnose. Es folgte eine schlimme, schlaflose Nacht mit Tränen, Fragen, Angst.
Am nächsten Nachmittag, am 19. Dezember, saßen uns dann zwei ernst schauende Ärzte gegenüber. Es wurde sachlich erklärt, dass unsere Mausejule tatsächlich eine Leukämie hat. Ihre Heilungschancen wären gut, immerhin bei 80 Prozent. Er betonte, dass wir einen tollen Kinderarzt haben. Unsere Jüngste wäre in einem sehr frühen Stadium gekommen. Ich war nicht mehr geschockt, wie es meinem Mann ging, konnte ich nur ahnen.
Ich habe gleich in der ersten Woche auf der onkologischen Station angefangen, Tagebuch zu führen, weil man sonst einfach alles vergisst. Aber nicht vergessen werde ich, wie benebelt ich die ersten Tage war, unter Schock. Eigentlich habe ich die ersten Tage im Krankenhaus ständig geweint. Natürlich selten vor meinem Kind, meistens nachts, wenn ich zur Ruhe kam. Noch heute sitzen die Tränen locker.
Es war kurz vor Weihnachten, jeder fühlt solche Tage immer besonders. Entweder, weil er sie liebt oder sie hasst. Das Universum hat uns einfach aus unserer Umlaufbahn gekickt. Ihm war es egal, ob Feiertage anstehen. Meiner Tochter war es übrigens auch egal, sie hat mehrere Wochen nicht mit uns gesprochen.